Herbstgruss

Herbstgruss

Welch glänzend klarer Sennenherbsttag heute!
Ich grüsse Dich, Geliebte. Tief und weich
Und märchenhlau strömt die Unmendlichkeit
Des Aethers um die blendend weissen Gipfel
Der Alpenkette. die wir Beide seh’n,
Du näher, ich ein wenig ferner, doch
gemeinsann tauchend mit verwandtem Blick
In diese reine Flut der gold’nen Erde.
So reichheglückte Tage liehen wir
Ja Beide, wo im letzten Freudenrausch
Aufglühend schwillt die sterbende Natur
Und sehnsuchtweckender Verheissung voll
Ihr Lebewohhl uns warm entgegenleuchtet.
Die Gärten rings, die Wälder droben glüh’n
In roten. gelben, braunen, grünen Flammen,
Sie brennen jubelnd, farbentrunken auf,
Wie uns’re Liebe loh’n und janchzrn mag
Durchs gold’ne Blau der freien Weltenweite.
Gib mir die Hand! Du stehst ja neben mir,
Ich fühle Dich – ich seh‘ Dein edles Haupt
In Schimnnerwellen des Oktobers träumen
Von uns’rer stillen, stillen Heimat . . . .
Der Heimat unsrer Sehnsucht träumen wir
Entgegen, ach, und die verschwieg’ne Stätte
Der schönheitsfreud’gen Lebenseinsamkeit,
Sie zittert uns, ein süss Oasenglück.
Verlockend vor der schwelgerischen Seele.
Sind Dir die Thränen nah? Was pocht Dir so
Unruhig bang des liche Herz im Busen?
Die Menschen meinst Du, die der Hoheit fremd
Missliebig Wache steh’n am Paradiese,
Die Kröte siehst Du wieder eckelhaft
Durch die verhüllte Laube schlüpfen . . . Fort
Mit einem Fusstritt kräftiger Verachtung,
Fort in den Pfuhl gemeiner Kläglichkeit! . . .
Lass, gute Freundin. glühend Dich umarmen
Und einen Kuss auf Deine feuchten Wimpern
Leidbannend drücken! Und nun wandern wir
Langsam und fest in friedicher Begleitung
Bald Hand in Hand, bald jedes frei für sich
Der Sonne nach, die tiefe Schatten schon
Emporrollt zu den Almen, droben rosig
Die Spitzen noch umgiesst mit blankem Licht.
Die Sonne sinkt, doch uns’re geht nicht unter.
Der Liebe wärmend himmlisches Gestiern
Umleuchtet uns und weilt ob unserm Haupt,
Denn unsre Seelen haben sich gefunden,
Und unsre stille Friedensheimat winkt
Mit zarten Birken, mächtigen Platanen
Den Freunden, die sich zärtlich lieben, zu . . .
Hörst Du die leisen, leisen Quellen rauschen
Der Seligkeit‚ Geliebte, hörst Du sie? . . .

Der Friede, 9. November 1894, Nr. 44/45. Online